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Erinnerung an Rörchen
von Hermann Goetsch Nach mehr als 50 Jahren, denn Flucht und Vertreibung geschahen
am 5. März 1945, versuche ich, aus dem Gedächtnis einiges über Rörchen
aufzuschreiben. In einigen Punkten mag ich mich dabei irren. Korrekturen nehme
ich dankbar entgegen, die besagen ja, dass man die Heimat nicht vergessen hat.
Rörchen lag an der Bahnstrecke von Gollnow nach Altdamm, von dort ging
es nach Stettin. Vom Chausseehaus Gollnow bis nach Groß Christinenberg liefen
Chaussee und Bahnstrecke parallel zueinander. Der Rörchener Bahnhof lag
etwa 700 Meter östlich vom Dorf. Der Name Rörchen hängt mit der
Urbarmachung (Rohr) des Gebietes zusammen, aus "Röhricht" wurde Rörchen. Rörchen gehörte zum Kreis Naugard. Viele Wälder im Kreis Naugard
standen auf Flugsanden des Dammschen Sees. Lübzin am Dammschen See lag im
Urstromtal. Von Rörchen bis nach Lübzin waren es wohl sechs Kilometer. Der
Dammsche See und damit Lübzin lagen im Westen von Rörchen. Lübzin war auch
der nächstgelegene Badeort, den wir mit dem Fahrrad erreichten. Im Kreise Naugard bestimmten drei verschiedene Landschaftsformen das
Gebiet: im Westen die großen Wiesenniederungen am Dammschen See, im Osten das
Ackerland und dazwischen die großen Waldgebiete. In Rörchen war es die
Gollnower Bürgerheide und die Forst Pütt. Rörchen hatte eine Revier-Försterei,
die zum Forstamt Pütt gehörte. Diese Försterei war ein Neubau, der kurz vor
dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges fertig wurde. Der letzte Revierförster
bis zur Flucht war Herr Schulz. In den Wäldern fanden wir vor allen Dingen
Blau- und Preiselbeeren und natürlich sämtliche Pilzarten, alles mit einer
Sammlererlaubnis. In den Wäldern und in der Feldflur kam alles an Tieren vor,
was man sich nur denken kann. Im Kreis Naugard gab es noch Wildkatzen,
Fischottern, Dachse, Fischadler, Wachteln, Kormorane, Kraniche, natürlich
viele Störche, auch Schwarzstörche. Die Aufzählung könnte noch fortgesetzt
werden. Bei der letzten Volkszählung am 17. Mai 1939 hatte der Kreis Naugard 63
075 Einwohner. Sie lebten in 116 Gemeinden, davon waren vier Städte (Naugard,
Gollnow, Massow, und Daber). 98,3 Prozent der Bevölkerung waren evangelisch. Bis 1945 gab es in Rörchen ein Restgut. Es gehörte einer Familie von Borgstede. Seit 1800 waren sie schon in Rörchen. Schwerpunkt der Landwirtschaft waren Milchviehhaltung und Viehwirtschaft. Im Dorf gab es auch viele Handwerksbetriebe, einen Schützenhof, die Gastwirtschaft von Walter und Elli Dahlke und die Kaufmannsgeschäfte von Wilhelm Dahlke und Frau Trepow. Beide besaßen auch einen Schankraum. Für Wilhelm Dahlke brachte ich von der Gollnower Molkerei immer Käse und Quark mit. Daneben gab es aber noch einen Kolonialwarenladen. Rörchen hatte einen eigenen Bäcker, es war Reinhold Lemke. Bei ihm gab es immer frische Salzkuchen. Seit Rörchen bin ich nie wieder auf Salzkuchen gestoßen, auch in Vorpommern nicht. Ein Salzkuchen hat die Größe eines doppelten Brötchens, und auf den Kuchen befindet sich angebackenes Salz. Besonders an Festtagen war in der Bäckerei Hochbetrieb, denn jeder Rörchener ließ seinen Kuchen im Backofen von Bäcker Lemke backen. Das Backen ging nur mit Voranmeldung, jeder hat in der Regel zehn Kuchen, die gebacken werden mussten. Es war Hefekuchen.
Ich weiß nicht mehr genau, ob wir in Rörchen ein eigenes
Fleischereigeschäft besaßen. Wir hatten aber in Rörchen zwei Windmühlen. Die
eine stand gegenüber Bäcker Lemke etwa 400 Meter von der Dorfstraße entfernt.
Die andere Windmühle befand sich am Ende des Dorfes, wenn man in Richtung Klein
Christinenberg fuhr. Der Besitzer war Albert Henry. Der Großvater von Horst
Goertz war der Müller, der die Mühle in der Nähe von Bäcker Lemke bediente.
Horst Goertz trug im Dorf die Zeitungen aus. Dem Großvater von Horst halfen wir
oft bei der Arbeit. Der Kopf der Windmühle wurde gedreht, dass der Wind seine
Arbeit verrichten konnte. Drei Tischlereibetriebe und einen Stellmacher kann ich noch nennen. Die
Tischlereibetriebe waren Werkhaupt, Ewald Schultz und Karl Kohn. Der Stellmacher
hieß Mallow.. Schneider sind mir zwei bekannt, Bolsius und Zimmendorf.
Es gab auch zwei Gärtnereien, Bölter und Mahnke und Karl Frädrich. Von Karl
Frädrich besitze ich noch ein Foto. Der Bauer Vogt fuhr die Milch zur
Molkerei nach Groß Christinenberg. Auch etliche Waldarbeiter wohnten in Rörchen.
An den Haumeister Bartels kann ich mich noch gut erinnern. Er gehörte zur
Skatrunde meines Vaters, auch Karl Frädrich war dabei.. Die „Sieben Dörfer“ lagen in der Nord-Süd-Richtung. Nördlich von Rörchen waren es Klein Sophiental und Groß Sophiental, südlich Klein und Groß Christinenberg. Prinzessinnen des Königshauses gaben die Namen für die Nachbardörfer. der Abstand der Dörfer untereinander war sehr gering. Von Rörchen nach Klein Sophiental waren es ca. 400 Meter.
Rörchen war Kirchspiel, es besaß ein eigenes Pastorat. Die Rörchener Kirche steht noch. In Rörchen standen noch zwei Schulhäuser, sie waren nur durch den Gutspark getrennt. Mein Vater war Schulleiter. Wir wohnten im neuen Schulhaus neben der Kirche. Das Schulhaus wurde durch Kriegseinwirkung zerstört. Im anderen Schulhaus wohnte Lehrer Hasenbank mit Frau und Tochter. Lehrer Hasenbank fiel im Krieg.
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